Wir betrachten die Entwicklung der Geburtshilfe in Deutschland mit Sorge

Hausgeburten sind auch bisher in Deutschland eher selten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einer davon ist, dass immer weniger Hebammen gerade im ländlichen Raum überhaupt noch Hausgeburten anbieten. Stetig steigende Haftpflichtprämien, die ab Juli 2016 bereits 6.843 Euro bei freiberuflicher Geburtshilfe betragen, haben Hausgeburten teils zum Verlustgeschäft für Hebammen werden lassen. Auch die freiberuflichen Beleghebammen, die Geburten in Kliniken anbieten, sowie Hebammen, die in Geburtshäusern arbeiten, betrifft die Haftpflichtproblematik. Zusammen begleiten sie rund 20 Prozent der Geburten in Deutschland.

Im Juli 2016 besteht der sogenannte Sicherstellungszuschlag seit einem Jahr. Er sollte eigentlich Hebammen bei der Bezahlung der Haftpflichtversicherung unterstützen, damit sie Geburtshilfe auch dann anbieten können, wenn nur wenige Frauen diese Leistung benötigen. Beispielsweise in ländlichen Gebieten. Tatsächlich bietet er nur einen unzureichenden Ausgleich für alle Hebammen, einige Hebammen erhalten überhaupt nichts.

Katharina Jeschke, Präsidiumsmitglied im Deutschen Hebammenverband, dazu im Interview:

Frau Jeschke, was ist Ihre Kritik am sogenannten Sicherstellungszuschlag?
Der Sicherstellungszuschlag bietet einen Haftpflichtausgleich noch nicht mal auf dem Papier. Die ausgezahlte Summe ist deutlich niedriger als die Kosten. Mindestens 1800 Euro muss die Hebamme zurzeit selbst tragen. Eine andere Ausgleichsmöglichkeit, beispielsweise über die geleistete Arbeit, hat sie in diesem neuen System ebenfalls nicht mehr. Denn die Vergütung der geburtshilflichen Leistungen ist mit der Einführung des Sicherstellungszuschlages in der jetzt praktizierten Form massiv gesenkt worden.

Faktisch ist es so: Egal wie viele Geburten eine Hebamme betreut: Niemals kann sie die volle Summe dieser beruflichen Kosten wieder erwirtschaften. Die erste Auszahlung ist zudem erst rückwirkend erfolgt - über neun Monate nach dem Inkrafttreten der neuen Regelungen. Das heißt, dass alle freiberuflichen Hebammen monatelang nicht wussten, was sie überhaupt bekommen und ihre Haftpflichtkosten zunächst vollumfänglich selbst bezahlen mussten. Und auch zukünftig bleibt es bei einer rückwirkenden Zahlung.

Dies im Zusammenhang mit den wissenschaftlich nicht bewiesenen Ausschlusskriterien, die viele außerklinisch geplante Geburten kurzfristig nicht mehr möglich machen, obwohl kein medizinisches Risiko erkennbar ist, führt die gesetzliche Intention, Hebammen mit wenigen Geburten zu unterstützen, ad absurdum. Hebammen, die nur wenige Geburten pro Jahr betreuen, bekamen früher einen zu geringen Ausgleich der Versicherungskosten. Heute bekommen sie vielfach gar keinen mehr. Und die Zahl der Hebammen, die wenige Geburten betreuen, ist aufgrund der Ausschlussregelung gestiegen.

Wo sehen Sie das Problem der Geburtshilfe in Deutschland?
Wir betrachten die Entwicklung der Geburtshilfe in Deutschland mit Sorge. Die überwiegende Zahl aller Geburten in Deutschland findet in Kliniken statt. Immer mehr geburtshilfliche Kliniken werden geschlossen und bei einem Großteil der Geburten in Kliniken werden routinemäßig Interventionen durchgeführt. Außerdem werden mehr als dreißig Prozent aller Kinder durch Kaiserschnitt oder vaginale Operationen entbunden. Wir sollten uns also vielmehr die Frage stellen: Was heißt überhaupt Sicherheit? Was ist sicher?

Die Betreuung einer Gebärenden durch eine Hebamme leistet einen maßgeblichen Anteil zu einem normalen Geburtsverlauf und wenig Interventionen. Dies halten wir für einen wesentlichen Faktor für Sicherheit, egal ob innerhalb oder außerhalb einer Klinik. In vielen Kliniken ist dies jedoch nicht mehr möglich aufgrund der Personalsituation. Da bietet die außerklinische Geburtshilfe eine Alternative. Doch auch diese ist in Gefahr, weil viele Hebammen aus der Geburtshilfe ausgestiegen sind. Aktuell finden immer mehr Frauen nicht mehr die Hebammenbetreuung, die sie sich wünschen.

Hebammen sind dem Wohl von Frauen und deren Kindern verpflichtet. Dieses Wohl sehen wir durch ein hohes Maß an unnötiger Medikalisierung und technischer Interventionen, die einer leichteren Planbarkeit geschuldet sind, gefährdet. Die normale Schwangerschaft und Geburt benötigt Zeit und keine technischen Eingriffe. Sie ist nicht planbar. Sie ist auch nicht wirtschaftlich im kurzfristigen Sinne. Denn Zeit kostet Geld. Der Gewinn einer normalen Geburt ist nur langfristig zu sehen. Er liegt im besseren Gesundheitszustand der Mutter und des Kindes. Das ist bewiesen, wird aber in der Debatte um Sparmaßnahmen im Gesundheitssystem gerne vergessen.

Auch die normale Geburt kann nicht billig sein, denn sie benötigt neben einer intensiven menschlichen Betreuung der Hebammen auch immer die Vorhaltung der medizinisch-technischen Ausstattung. Sie muss vorhanden sein, für den Fall, dass die normale Geburt ein Notfall wird. Sie muss also auch bezahlt werden, wenn sie nicht benötigt wird. Denn nur das bringt schlussendlich eine sichere und gesunde Geburtskultur.

Und Geburtshilfe muss für Mütter wohnortnah zur Verfügung stehen. Flächendeckend. Das muss in einem so dichtbesiedelten und reichen Land wie Deutschland organisierbar sein. Eine Gesellschaft, die sich mehr Kinder wünscht, sollte Frauen ermutigen, statt sie zu bevormunden. Die Einführung von Ausschlusskriterien für Hausgeburten ist eine Entmündigung und verbessert nicht die Qualität. Eine Gesellschaft, die eine sichere Geburtshilfe möchte, muss in eine flächendeckende wohnortnahe Geburtshilfe investieren, die ausreichende Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt.

Warum helfen diese Ausschlusskriterien nicht, Qualität zu gewährleisten? Welche Maßnahmen finden Sie alternativ sinnvoll?
Hebammen erbringen ihre Arbeit in hoher Qualität. Sie wissen, um die Auswirkungen von Fehlern. Es wäre aber fatal, wenn wir unsere Fähigkeiten, Notfälle zu beherrschen, von dem tatsächlichen Auftreten in der Praxis abhängig machen würden. Das würde ja bedeuten, dass Frauen und Kinder, die unsere Fachkompetenz benötigen, die Lernobjekte wären. Hebammen üben ihre Notfallfähigkeiten in Fortbildungen, am sogenannten Geburtsphantom und an Notfallübungspuppen. Wir als Hebammenverband stellen dazu beispielsweise ein Qualitätsmanagementsystem und zahlreiche Fortbildungen zur Verfügung. Eine hohe Qualität bei Hausgeburten erreichen wir durch Fortbildungen, Notfalltrainings sowie eine Dokumentation der Geburtsverläufe beim unabhängigen Institut QUAG (Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e. V.) und beim länderübergreifenden CIRS-System für Hebammen „Fälle für Alle“. Die von den Krankenkassen festgelegten Ausschlusskriterien für Hausgeburten sind reine Zahlungsausschlüsse, die keine Aussage über das Risiko machen. Sie helfen nicht, Notfälle zu vermeiden und dienen deshalb nicht der Sicherheit.

Derzeit werden internationale Studien geprüft, um Evidenzen, d. h. wissenschaftliche Begründungen für Ausschlusskriterien zu prüfen…
Hausgeburten in Deutschland waren schon immer mit wenigen Notfällen verbunden. Das liegt daran, dass Hebammen sehr sorgfältig alle Faktoren begutachten, die im Zusammenhang mit der Geburt wichtig sein könnten und dann gemeinsam mit der Mutter eine für sie richtige Entscheidung suchen.

Es gibt Vorerkrankungen und Befunde, die eine klinische Versorgung notwendig machen. Dies wird in der Hausgeburtshilfe berücksichtigt. Der Fokus aber auf die nun festgelegten Kriterien greift zu kurz. Damit ist nicht mehr Sicherheit zu gewinnen. Im Ergebnis wird die Entscheidung, ob eine Geburt im häuslichen Umfeld stattfinden soll oder nicht von der Frage der Finanzierbarkeit abhängig gemacht und nicht von fachlich vertretbaren Risikokriterien. Wir fechten als Hebammenverband die von der Schiedsstelle beschlossenen Kriterien deshalb an und möchten sinnvolle Maßnahmen im Versorgungsvertrag durchsetzen, die eine tatsächliche Verbesserung der Qualität garantieren.

Quelle: DHV

Zurück